Meine ersten Hirsche.
Auf Jagd mit dem Förster
Auf den Rothirsch zu jagen wünschte ich mir schon lange. Mit diesem
Wild hatte meine Jagdleidenschaft überhaupt begonnen. Nach dem Umzug
in die Nähe eines absoluten Rotwildreviers, war ich sehr häufig in den
Wäldern unterwegs, um diese herrlichen Tiere zu beobachten. Damals war
jenes Gebiet ein Staatsjagdrevier, und ich hatte eigentlich darin
nichts zu suchen. Es gab sogar Schilder, die in einigen Bereichen
darauf hinwiesen, dass es von September bis weit in den Oktober hinein
untersagt war, diese Waldflächen zu betreten. Wie ich herausfand,
handelte es sich um die Kernzonen der Rotwild-Einstandsgebiete.
Während der Brunftzeit mied ich daher diese Regionen, blieb oberhalb
der Täler und Wiesen an einer Straße. Die Rufe der Hirsche trug es
sowieso bis weit hinauf. Die Leute in den angrenzenden Dörfern
brauchten nur die Fenster zu öffnen, um im Herbst deren Rufe zu hören.
Rotwildrudel gab es zu der Zeit und dort in der Größe von Kuhherden.
Kein Spaß, keine Übertreibung. Eins der Rudel, welches ich auf einem
Rapsfeld beobachtete, schätzte ich auf zirka 100 Tiere. Teile der
Wälder sahen allerdings auch danach aus. Und nur, damit einige
"Herren" nach Herzenslust schießen konnten. Was es bedeutete, dort
auch noch Förster zu sein, erfuhr ich später ja aus erster Hand.
Nachdem ich im März einen verendeten Hirsch gefunden hatte, dem
allerdings von irgendeinem "Finder" davor die Geweihstangen
abgeschlagenen worden waren, ich dies demzuständigen Förster
mitteilte, brauchte ich zukünftig dann doch nicht mehr mit der Angst
hinauszugehen, "irgendwem in die Quere zu kommen" und mächtigen Ärger
zu kriegen. Genau der Förster wurde zu meinem jagdlichen Mentor und in
Folge zu meinem besten Freund... bis... ja bis zu seinem viel zu
frühen Tod. Er war es auch, der mir nahelegte, doch selbst zur Jagd zu
gehen, nachdem er mein starkes Interesse fürs Wild und die Natur
spürte. Er sorgte daher auch dafür, dass ich in einer der zuständigen
Jagdgesellschaften meine Praxisausbildung beginnen konnte. Ein
reguläres Mitglied zu werden und damit danach die Prüfung abzulegen,
das durfte ich allerdings erst nach der Wende, steht auch irgendwo
schon geschrieben. Er nahm mich dennoch schon vorher gelegentlich,
heimlich, mit hinaus auf Ansitz.
Und so geschah es, dass ich nun, fast sieben Jahre nach diesem
"Hirschfund", neben ihm auf der Leiter saß, um als frischgebackene
Jungjägerin in seinem Revier das erste Mal auf einen Rothirsch zu
jagen. Umwerfend. Das war zwar zuvor schon jeder Ansitz mit ihm, aber
das jetzt, das war die Krönung.
An diesem Ansitzabend führte ich seine Bockbüchsflinte, da ich selbst
zu der Zeit nur eine Doppelflinte besaß, und warteten auf der Leiter
an der "Glückswiese", so tatsächlich ihr Name, was sich dort tut. Es
war eher ein schmaler Wiesenstreifen, der leicht bergan steigend bis
zu einem in etwa 200 Meter beginnenden Altholzbestand führte. Die
Leiter stand rund 50 Meter vom Ufer der Talsperre entfernt. Sie lag in
unsere Rücken. Vom Altholz gegenüber bis hinunter zur Leiter
führte ein fester Weg. Rechts von ihm gab es ziemlich
unübersichtlichen Bewuchs mit dünnen Birken, Büschen, Gras, danach
wieder Altholz. Unterhalb der Leiter machte der Weg einen Bogen
und schlängelte sich weiter am Wasser entlang.
Den alten Rehbock in der Wiese erblickte ich als Erste. Dass er alt
sein musste, sah man ihm an, aber welch ein wahrer Bock-Methusalem es
letzten Endes war, sahen wir erst später. Ihm fehlten sämtliche
Schneidezähne und die Molaren waren völlig abgeschliffen. Der Förster
griff ohne Zögern nach der Waffe, die ich an den Leiterholm gehängt
hatte, und im nächsten Augenblick lag der Bock auch schon wie vom
Blitz getroffen auf der Wiese. Ich wusste, dass Böcke wegen des
Rotwildes dort nicht oft anzutreffen waren, freute mich über diesen
glücklichen Zufall seines Erscheinens, hatte allerdings etwas
Bedenken, dass es nun mit dem Hirsch nichts mehr werden könnte. Zu
unerfahren, denn er beruhigte mich sofort, erklärte mir, dass
der Knall allein das Wild nicht stört. Wir blieben also sitzen und
rührten uns nicht von der Stelle.
Erleichtert, dass die Erlegung des Bockes
kein Jagdende
bedeutete, beobachtete ich das Gebiet nun noch aufmerksamer. Und
tatsächlich erschien bei immer noch bestem Licht ein Rotspießer. Es
dauerte allerdings recht lange, bis er in Schussweite bummelte und es
brauchte
zwei Kugeln, bis er lag. Beim ersten Schuss war ich
leicht zu tief rechts abgekommen. Er zog sogar nach der zweiten
Kugel über den Weg, bis er zum Liegen kam.
Von diesem eigentlich ersten Hirsch existiert keine Trophäe an der
Wand, denn mein Lehrer meinte, dass sich "die kurzen Stummel" wahrlich
nicht zum Präparieren lohnen. Er hatte tatsächlich nichts weiter als
"Stummel" getragen. Außerdem stellte mir der Förster auch noch prompt
einen wesentlich stärkeren Hirsch in Aussicht, was mich erst recht
glücklich machte.
Es kam die herbstliche Brunftzeit und wir waren seit Wochen auf der
Suche nach einem passenden Abschusshirsch für mich. Die prachtvollen
Hirsche, die uns in Anblick kamen, welch herrliche Erlebnisse auch
ohne Jagderfolg, waren zu stark und zu jung gewesen oder nicht
freigegebene Einser. Er kannte "seine Hirsche" und stoppte zeitig
immer wieder mal meinen sich einstellenden jagdlichen Ehrgeiz. Und so
wurde ich auch in der Ansprache immer sicherer, denn er erklärte mir
jedes Mal aufs Neue die wichtigen Merkmale für deren Altersbestimmung.
Und das war in der Praxis, gar mit solch einem erfahrenen Jäger, eine
ganz andere Sache, als theoretisch mit Hilfe von Büchern. Tolle
Stunden draußen waren es allemal, so mitten in der Brunftzeit...
Solche Lehrstunden hatte ich durch ihn bereits vor der Prüfung
erfahren dürfen, regelrecht in die Mangel genommen hatte er mich,
immer wieder getestet und abgefragt... draußen. Gut so, denn als einer
der Prüfer in der mündlichen Prüfung "siegessicher" nach den berühmten
hirschgerechten Zeichen fragte, legte ich los. Ja, es war genau jener,
dem ich zuvor mächtig in die Karre gefahren war (siehe "Aller
Anfang"). War ich da meinem Freund und Lehrer dankbar.
Zurück zu unserer Suche nach dem passenden Abschusshirsch für mich,
die sich doch länger hinzog, als ich hoffte. Und ein Mal musste er
meine Jagdleidenschaft sogar regelrecht stoppen, denn da stand während
einer Pirsch ein Vierzehnender vor mir, der ein Rudel bei sich führte.
Er wurde zwar von meinem Begleiter "freigegeben", aber der Bursche war
von dieser Position aus, und zu dieser späten Stunde, einfach nicht
ohne Risiko zu erlegen gewesen. Ich selbst sah ihn frei stehen, aber
mein Förster war der festen Ansicht, dass sich Äste vor dem Wildkörper
befinden würden. Er kannte sein Jagdrevier und so blieb dieser Hirsch
denn doch und schweren Herzens von mir unbeschossen. Ich hätte nämlich
durch den Rand einer Kultur hindurchschießen müssen und dass es
garantiert schiefgegangen wäre, bestätigte sich mir viel später
mal auf einem Spaziergang bei Tageslicht.
Und der Zehner...
Auf der anderen Seite dieser, fast dem Gatter entwachsenen, Kultur,
saßen wir an einem der folgenden Abende an. Der Scherensitz war, wie
fast alle in dem Revier, sehr hoch und stand mitten im Altholz. Ich
selbst hatte die Hoffnung auf Anblick schon so gut wie aufgegeben, da
zog von rechts neben unserer Leiter tatsächlich noch ein Geweihter in
Richtung Gattereingang. Die Zäune sollten einige Zeit später entfernt
werden und das Tor war offen. Ich erhielt die Zustimmung zum Abschuss
geflüstert, kam aber beim Auflegen nicht so richtig mit der Höhe der
Leiterbrüstung zurecht. Ich führte natürlich wieder die
Bockbüchsflinte meines Freundes. Der Hirsch zog stetig weiter,
verhoffte nicht ein einziges Mal! Ich rutschte vom Sitzbrett und
stellte mich auf die Leitersprossen. So passte die Höhe endlich.
"Beeil dich, der ist gleich weg", zischelte mein Lehrer. Der Hirsch
stand unmittelbar am Gattereingang zur dichten Kultur, die ihn um
etliches überragte. Aber er verhoffte endlich. Durch's Ziel erblickte
ich weder Haupt noch den hinteren Teil des Wildkörpers... aber das
Blatt war frei! Nur dieses. Im Zielfernrohr waren links Fichtenstämme,
rechts Stämme und dazwischen war sein freies Blatt... Rumms, ich
drückte kurzentschlossen ab. Der Rothirsch schoss wie ein Pfeil in die
Richtung, in der er mit dem Haupt gestanden hatte, also nach links zum
oberen Dickungsrand, welche an das Altholz schloss. Die Dickung selber
lag an einem steilen Hang. Die Flucht betrug etwas mehr als 50 Meter.
Meine Schussdistanz war über 150 Meter gewesen. Aber er stürzte zu
Boden, gleich bei den ersten Fichten der Dickung. Er schien sich noch
zu bewegen, doch man sah gerade mal die Geweihenden durchs Glas.
"Dass du doch noch schießt, hätte ich wirklich nicht gedacht", meinte
mein Förster. Er habe ihn schon im Gatter verschwinden sehen.
Wir warteten noch einige Zeit und baumten leise ab. Aber er ließ mich
nicht mehr nach dem Hirsch suchen. Er war sich nicht sicher, ob er
wirklich schon verendet sei und aufmüden? Nein. Es war auch schon zu
dunkel geworden.
Für mich wurde es eine unruhige Nacht mit Bangen bis zum nächsten
Morgen. Und selbst da war die Qual noch nicht gleich zu Ende, obwohl
mich der Förster immer wieder beruhigte, er würde schon liegen. Und
dann quälte er mich sogar noch etwas länger, denn erst war noch ein
weiterer Morgenansitz an der Reihe. Danach aber... Hurra! Der Hirsch
lag, wo wir ihn hatten zusammenbrechen sehen. Ein Tiefblattschuss und
ich war mächtig stolz über meinen "ersten richtig Großen". Mit ihm war
ich richtig im Jägerleben angekommen. Ich hatte so große Ziele und
Träume erreicht, stetig und in Schritten, mit sehr vielen Steinen im
Weg, aber auch dem großen Glück, solch einen Lehrer und Freund
getroffen zu haben. Ohne ihn wären sie nie wahr geworden.
ENDE
Text und Foto © Hildruth Sommer