Aller Anfang.

Erste Jahre und sogar etwas "Jagdgeschichte"

Rehe waren das Hauptwild meines eigentlichen Lehrreviers, welches in direkter Nähe zur damaligen innerdeutschen Grenze lag. Den Ablauf, das nervige Procedere, dort an der Grenze zu jagen bzw. seine Ausbildung zu absolvieren, habe ich in einer der anderen Geschichten genauer  beschrieben. Auch darüber, wie schwierig es für mich gewesen war, überhaupt jemanden zu finden, der mich praktisch unterwies, also mich regelmäßig zur Jagd mitnahm. Meinem eigentlichen Mentor, dem Förster, war es nicht möglich. Sein Revier und er gehörten zu einer ganz anderen Jagdgesellschaft, die auch noch in verschiedene, regionsabhängige Jagdgruppen unterteilt war. Anwärter wurden denen „von höherer Stelle“ zugeteilt. Der Wohnort spielte dabei eine große Rolle, aber auch, wie viele Jäger bereits in den Revieren vorhanden waren.
Wer sich letzten Endes dazu bereiterklärte, die im Vorfeld zur Prüfung erforderliche praktische Ausbildung zu übernehmen, hing von Zeit und gutem Willen der Jäger dieser zugewiesenen Gruppe ab. Erst nach einer solchen, längeren praktischen Lehrzeit und der Erteilung der „Schusswaffenerlaubnis“ durch die damaligen Behörden, vor allem der Absegnung seitens der SED-Kreisleitung, wurde man zur theoretischen Ausbildung und Prüfung an eine Jagdschule delegiert.
Das ging bei einigen Anwärtern wesentlich schneller vonstatten als bei mir. Ich wartete Jahr um Jahr und nichts tat sich. Wenn ich nicht von den Jägern selbst die Rückmeldung bekommen hätte, dass ich dafür geeignet sei und mir viel Mühe geben würde, wäre ich sicher mit meinem Selbstwert und Mut in den Keller gerutscht.
Wem ich dieses lange Warten zu verdanken hatte, erfuhr ich erst nach der Wende.
 
Ende Oktober 1989 war es jedenfalls endlich soweit und ich wurde zur Jägerprüfung delegiert. Natürlich hatte ich dies allein den veränderten politischen Verhältnissen zu verdanken, sonst wäre ich vermutlich nie Jägerin geworden. Obendrein hatte man denjenigen, der, wie ich eben viel später erfuhr, „etwas gegen mich hatte“ und dessen Meinung entscheidend gewesen ist, von seinem Posten in der SED-Kreisleitung kurz vor der Wende entfernt. Er hatte nämlich, als sogar fachlich weithin bekannter Jagdhundeabrichter, seine zur Jagd „untauglichen Hunde“ erschossen und sie  als Jagdunfälle „abgerechnet“. So jedenfalls die Information, die ich später erhielt, aber eine aus äußerst berufenem Munde.
Dieser „hundefreundliche Jagdgenosse“ machte übrigens später, da vor der Wende gefeuert, einen auf "Verfolgter des Regimes". Obendrein gehörte er kurz nach der Wende noch zu den Dozenten der Zollgrüner Jagdschule, zu der auch ich delegiert war.
Diese Schule war der Obersten Jagdbehörde der DDR direkt unterstellt gewesen und an ihr sogar ein zweijähriges postgraduales Studium für Forstleute, Landwirte und Behördenmitarbeiter als „Meister der sozialistischen Jagdwirtschaft“, bzw. späterhin zum "Ingenieur für Wildbewirtschaftung", möglich.

Zur Prüfung hatte mich dieser Dozent dann freilich voll in die Mangel genommen. Ich schloss dennoch als eine der Besten des Lehrgangs, mit damals immerhin 70 Anwärtern, ab. Es war der letzte noch-DDR-Lehrgang in dieser fachlich hervorragenden Jagdschule gewesen. Die Dozenten waren mehrheitlich weithin geschätzte Fachkräfte. Die Schule wurde nicht lange darauf geschlossen, das Haus und große Grundeigentum versteigert. Wirklich schade...
Die Jagd war schon immer auch Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse. Davon habe ich auf unserem Boden nun zwei Verschiedene erlebt und kenne die Dritte, die des „Dritten Reichs“, aus den Schilderungen meines Mentors und Freundes, der zu jener Zeit schon Jagen ging und Förster war.

Das derzeit herrschende Reviersystem, ein Jagen nach Geldbeutel, ist sicher nicht das Non plus Ultra. Aber welches wäre dann das Richtige bei der Jagd? Wie soll man eine begrenzte Fläche, zeitgemäße Ansprüche, Ökonomie, menschliche Eigenheiten und eine erhaltenswerte Natur unter einen Hut bringen? Am besten gar nicht, werden Jagdgegner antworten. Das macht die Natur schon von alleine. Die Natur also einfach Natur sein lassen und nicht mehr jagen? Auch da hatte mein Förster und Mentor berichtet, was dann daraus entstehen kann, denn gleich nach Kriegsende war es so. Es durfte keiner mehr Waffen besitzen und jagen natürlich auch nicht. Vor allem die Schwarzwildbestände waren daraufhin förmlich explodiert, da es in Deutschland an den notwendigen großen Prädatoren mangelt. Die Natur kann sich nicht mehr selbst regulieren, wenn der Mensch schon so weit eingegriffen hat, wie er es tat.

Nun habe ich mich freilich sehr weit von meinen Rehen und den Erlebnissen mit ihnen zu jener Zeit entfernt. Ich durfte sie bereits machen, bevor ich den Jagdschein in der Tasche hatte, denn meist waren die Jagdtage und -erfolge meiner Lehrer auch die meinen. Ich hatte, auch ohne dass ich selber zielte und abdrückte, mit ihnen gemeinsam die Dinge beinahe mit derselben inneren Aufregung und Empfindung durchlebt. Notwendige Nachsuchen, falls Zeitmangel herrschte, habe ich, für zumindest einen von ihnen öfter, mit dem Hundeführer allein vorgenommen, das Wild versorgt und abtransportiert. Mitgefiebert, mitgelitten, mitgefreut und mitgemacht, auch Leiter- und Kanzelbau, Wildäcker anlegen, Heu fürs Füttern oder Selbiges im Winter.
Mein erstes überhaupt von mir erlegte Stück war eine verwilderte Hauskatze, das zweite ein Fuchs, das dritte ein Knopfbock. Natürlich alles im Beisein meines Lehrers und nach weit über einem Jahr „Lehrzeit“ schon längst mit der Waffe vertraut. Schießen und Treffen, das übte ich auf Pappkartons mit schwarzen Zielkreisen.
Zwei Tage nach dem Bestehen der lang ersehnten Prüfung, lag ich aber erstmal auf dem OP-Tisch und es war knapp, sehr knapp gewesen... Wieder einigermaßen genesen, war ich kaum noch zu halten. Meine beiden Jagdlehrer hatten mich im Krankenhaus besucht und der Förster mich mit einer Menge Jagdbücher versorgt, um mich von den trüben Gedanken abzulenken, denn ich lag vorwiegend deshalb jammernd im Krankenbett, weil ich es als elend gemein vom Schicksal oder wem auch sonst empfand, bei solch schönem Wetter, die jungen Böcke waren gerade aufgegangen, und nach dem Erreichen eines ewig herbeigesehnten Zieles, so fies ausgebremst worden zu sein. Verrate dem Teufel deine Pläne....





Es war etwas Besonderes, dieses erste, als Jungjägerin erbeutete Wild.

Aber aller Anfang ist nicht nur schön, sondern auch schwer. Anfang Juni 1990 ist es gewesen. Mir war auch als frischgebackener Jungjäger nur erlaubt, in den Gebieten der Jagdgruppe auf Ansitz und Jagd zu gehen, der ich schon als Lehrling zugewiesen worden war. Diese begründete Regelung galt bis zum Inkrafttreten des Thüringer Jagdgesetzes und den Verpachtungen Ende 1991. Auch mit Jagdschein konnte mich also mein Freund, der Förster, nicht häufiger in sein Revier einladen, und wenn, dann war es selbstverständlich  nur in seiner Begleitung möglich.
Am 14. November 1991 war übrigens jene Zeit im „angestammten“ Revier, in der Nähe der ehemaligen Grenze, aufgrund der Verpachtungen vorüber. Der Zeitraum von Juni 1990 bis November 1991 blieb dessen ungeachtet die schönste Zeit meiner Jägerlaufbahn. Ich war nicht mehr derart voll auf andere Jäger angewiesen. Nur bei meinem Freund, dem Oberförster, hatte mir das nie etwas ausgemacht. Da war es Freude, gemeinsam auf Jagd zu gehen.

Nach der schweren Krankheit ziemlich angeschlagen, hatte mich mein Mann lieber selbst zu den ersten allein-Ansitzen gefahren und auch wieder abgeholt. Die Schusswaffen wurden noch immer einmal wöchentlich in den Waffenkammern getauscht, beziehungsweise abgeholt, zurückgebracht und neu ausgegeben. Das blieb bis Mitte Juni so, hernach sind die Waffen an die Jäger verkauft worden. Ich erwarb für wenig Geld aus diesem Bestand eine Doppelflinte aus Suhl (Adamy), Baujahr 1957.
Anfang Juni 1990 führte ich noch „staatseigene“ und bei denen wusste stets keiner, ob da nicht doch jemand am Ziel gestellt hatte oder was sonst damit "beim anderen" passiert war. Ich erhielt als erstes eine Waffe ohne Zielfernglas, wo mir aber freundlicherweise mein Jagdlehrer G. dann sein privates zur Verfügung stellte. Am darauf folgenden Tag, einem Samstag, fuhr ich zum Förster und wir schossen die Flinte gemeinsam ein. So richtig zufrieden mit den Ergebnissen war ich da aber nicht, schob es aber voll auf mich selber. Abends ging ich, mit noch ziemlich wackligen Beinen, auf die Kitzkanzel zu meinem ersten selbständigen Ansitz. Zwecks besseren Verständnisses hatten wir jedem Sitz einen Namen verpasst und mein Ziel war die "Kitzkanzel".
Ich war fürchterlich aufgeregt. Ich glaube, mein Herz war schon beinahe am Zerspringen, bevor sich nur überhaupt etwas außerhalb meines Ansitzes tat. Noch bei gutem Büchsenlicht gewahrte ich, links bei der Kanzel auf einem Waldsteig, einen jungen Sechserbock, und das bedeutete für mich Hahn in Ruh'. Ein von mir anvisierter, damals noch jagdbarer Eichelhäher, erwies sich wiedermal als cleverer. Kurz vor dem Abbaumen erblickte ich ein weiteres Stück Rehwild, allerdings war eine genaue Ansprache, aufgrund der Entfernung und des geschwundenen Büchsenlichts, nicht mehr möglich gewesen.
Obwohl ich an diesem Abend kein Weidmannsheil gehabt hatte, war ich glücklich über die erste Jagd als, im doppelten Sinne, grüner Jungjäger. Spätere Ansitze auf der gleichen Kanzel blieben ohne Anblick und so wählte ich einen anderen Platz. Sehr zeitig am Abend trat dort, leider etwas zu weit für meine Doppelflinte, ein von mir als Knopfbock angesprochener Jährling auf die schmale Wiese am Bachrand. Sie wurde nicht beweidet und wies somit noch eine artenreiche Flora auf. Den 70-m-Schuss mit Brennecke-Geschoss, den es bedeutet hätte, wagte ich allerdings nicht. So ließ ich ihn in Ruhe wieder einwechseln.
Ein weiterer Ansitz auf der gleichen Kanzel, brachte zwar mehr Wild in Anblick, unter anderem auch den eines mittelalten starken Bockes, zeigte mir aber auch, dass der Jährling doch öfter im Bereich der Kitzkanzel austrat. Dann, es war Pfingstmontag, versuchte ich darum auf der Kitzkanzel noch einmal mein Glück. Der Jährling tauchte aber nicht auf und ich besaß kaum noch Hoffnung, dass ich an diesem Abend zu einem Jagderfolg kommen würde, als plötzlich, direkt an der Kanzel, ein älterer Sechserbock ein Reh vor sich trieb. Man hörte laut und deutlich wütendes Schnaufen. Aber die Blattzeit lag noch in weiter Ferne. Beider Tempo war hoch, so dass ich das getriebene Stück davor nicht erkennen bzw. ansprechen konnte.
Nachdem das Wettrennen sein Ende gefunden hatte, es wieder stiller geworden war, beide waren im Wald verschwunden, traten kurze Zeit später erneut zwei Stück Rehwild dicht bei der Kanzel aus. Das eine war ein weiterer Bock und das zweite sprach ich als Schmalreh an. Der Bock stand breit und sehr nah vor mir. Das vermutliche Schmalreh war allerdings sofort weitergezogen.
Ricken besaßen im Juni noch Schonzeit, entsprechend damaliger Regelung. Ich hatte solch eine Angst vor dieser ersten, alleinigen Entscheidung, dass ich mich vielleicht  irren und falsch ansprechen könnte, es sich eben doch um kein Schmales, sondern eine junge Ricke handelt, so dass ich das Reh unbeschossen abziehen ließ. Der Bock selbst war mir zu stark und damit tabu.
Tags darauf begleitete mich mein ehemaliger Lehrer und nun Mitjäger G.. Ich hatte ihn gebeten, mir beim Ansprechen noch einmal behilflich zu sein, was er auch bereitwillig tat. Etwa gegen 21:00 Uhr (Sommerzeit) trat das vermeintliche Schmalreh aus. Ich nahm die Waffe und ging in Anschlag. Jäger G. gab den Schuss frei, da auch er es eindeutig als Schmalreh bestätigte. Ich zielte lange… und muss dann wohl doch noch leicht verrissen haben, den G. meinte, ich hätte vorbeigeschossen. Er habe keinerlei Schusszeichen erkennen können.
Ich selbst konnte und wollte es kaum glauben. G. gebot mir, noch eine Weile abzuwarten. Er habe es schon oft genug erlebt, dass auch nach einem Schuss noch Wild austritt. Also warteten wir, und warteten… mir kam diese Zeit als Ewigkeit vor, denn noch hoffte ich, dass ich das Reh getroffen hatte.
Plötzlich puffte mich G. in die Seite. Hinter ihm im Jungwuchs stand erneut dasselbe Schmalreh. Donnerwetter! Ich war baff! Tatsächlich  vorbeigeschossen! Aber nun wollte ich es besser machen. Ich zielte sehr ruhig, zog unheimlich vorsichtig und langsam durch und ... bauz löste sich der Schuss. Ich hatte mich diesmal darauf konzentriert, bloß nicht zu mucken und voll durchs Feuer zu schauen. So erkannte ich, wie das Reh hinten ruckartig in die Höhe ging und mit den Läufen ausschlug, gleichzeitig aber auch, dass unten am Bauch Gescheide heraushing.



Zu tief getroffen?

Schlecht abgekommen? Es tat sich augenblicklich nieder, kam erneut hoch, um sich nur wenige Schritte weiter im Wundbett niederzutun. Und dann war es auch schon verendet. Jäger G. baumte als erster ab. Als ich selbst einen Moment später zum Stück trat, überreichte er mir den Schützenbruch und sagte: "Ein guter Schuss."
Nun sah ich es selbst. Da ich es leicht schräg von hinten und natürlich ziemlich steil von oben auf nur Flintendistanz beschossen hatte, hatte das derbe Flintenlaufgeschoss das Gescheide im Austritt lediglich mit hinausbefördert. Es war nicht der Entritt. Ich konnte mein erstes Stück Wild nach Hause bringen, obwohl ich diesmal beim Ansprechen noch Hilfe benötigt hatte, was mangelndem Selbstvertrauen geschuldet war.
G., der diese Waffe in der Woche darauf erhielt, stellte bei Kontrollschüssen allerdings fest, dass die Flinte tatsächlich auch leicht tief rechts gezogen hatte.

Für den Tag darauf besaß ich eine Einladung zur Jagd bei meinem Förster. Dort erlegte ich mein erstes Stück Rotwild, wie ich es in der Geschichte „Meine Ersten“ später aufgeschrieben habe. „Das Jagdglück ging weiter“ ist die Überschrift in meinem Jagdtagebuch. Und zum Schluss steht da ein Satz, der viel darüber aussagt, was damals in mir vor sich gegangen war: „Gott, erhalte uns diese Form der Jagd. Lass es nie zum Geschäft werden wie in der BRD! Ich wüsste nicht, was ich täte, wenn ich die Jagd nicht mehr hätte." Und der Eintrag, der meinen ersten allein erlegten Bock betraf, nur wenige Tage später zur Strecke gekommen, beginnt mit der Zeile: "Wer weiß, was mit der Jagd mal wird."

Vor diesem Jagderfolg und für mich so aufregenden Geschichte, hatte ich für kurze Zeit sogar den Drilling zum Jagen erhalten. Als ich mich damit ansetzte, sah ich schräg hinter der Kanzel an der alten Kirrung auf der Wiese einen Jährlingsbock. Es war ein so genannter IIc. Sein Gehörn bestand aus zwei dünnen, nicht mal lauscherhohen Spießen. Er äste im Unterwuchs der Kultur, doch war ein Schuss so dermaßen schräg nach hinten aus dem seitlichen Kanzelfenster nicht vertretbar gewesen. Die Rückwand der Kanzel war da nämlich noch fensterlos und genau "dort hinten" hatte das Böcklein gestanden. Jäger G. sägte später mal ein kleines "Fenster" hinein, denn ausgerechnet dort trat wirklich viel Wild zur Äsung aus.
Einige Tage lang war ich nicht mehr zum Jagen gekommen. Andere Verpflichtungen hatten es mir vereitelt. Zu guter Letzt wurden auch noch sämtliche Waffen eingezogen, da deren Verkauf bevorstand. In dieser waffenlosen Zwischenzeit saß ich an einem Wochenende zum reinen Beobachten auf einer Leiter in der Nähe der "Wiesenkanzel". Und wie es auf der Jagd nun mal so zugeht, manchmal eben ziemlich verhext, ausgerechnet da zeigte sich der IIc- Bock erneut und ich konnte nur zuschauen, wie er, in bester Schussweite, sich seelenruhig an den Kräutern gütlich tat. So, als ob er genau wüsste, dass ihm durch mich an dem Tag keine Gefahr drohte.
Die nächsten Ansitze, mit dann eigener Waffe, allerdings nur einer Doppelflinte, brachten mir zwar gute Anblicke, die mich vielfach entschädigten, aber ich bekam den IIc-Jährling erstmal nicht mehr zu Gesicht. Daher nahm ich mir vor, auf der Leiter bei den Buchen nachzusehen, was sich dort an Wild zeigte. Das wechselhafte, regnerische Wetter zwang mich allerdings dann doch, mich für eine gedeckte Kanzel zu entscheiden. Also beschloss ich, es nochmals auf der „Wiesenkanzel“ zu versuchen.
Als ich vom Altholz hinaus auf die freie Fläche treten wollte, schaute die Sonne aus den Wolken hervor, und obwohl ich sehr zeitig hinausgegangen war, äste bereits eine starke Ricke zwischen hohem Gras und Büschen. Diese Neuanpflanzung beanspruchte etwa die Hälfte des freien Sicht- und Schussfeldes von der Kanzel aus. Die andere Hälfte war blanke Futter- und Weidewiese.

Nun hieß es, so leise wie möglich auf die Kanzel zu gelangen.

Ich schaffte es tatsächlich, von der Ricke gänzlich unbemerkt zu bleiben, denn der Bewuchs auf dem Schlag bot an einigen Stellen gute Deckung. Nach nur wenigen Minuten des Ausharrens auf meinem Sitz, war die Ricke dennoch verschwunden. So lehnte ich mich in die äußerste Kanzelecke zurück und steckte mir eine Zigarette an. Wie beiläufig blickte ich noch einmal aus dem nun neuen "Fenster" in der Rückwand, zuckte aber überrascht zusammen. Dort stand tatsächlich der gesuchte Jährlingsbock! Ich erkannte ihn sofort. Trotzdem vergewisserte ich mich noch einmal durchs Fernglas.
Ab diesem Moment rüttelte mich das Jagdfieber zum Steinerweichen. Das Böcklein befand sich in wunderbarer Schussweite für mich und meine Doppelflinte. Noch zeigte er sich mir aber nur spitz von vorn. Ich ging mit dem Zielstachel auf seinen Körper und rief mir alle Hinweise und Ermahnungen ob der Schießtechnik noch einmal in Erinnerung - und das beruhigte meine Nerven tatsächlich. Da stellte sich auch mein Böcklein breit und zeigte mir seine rechte Seite.
Als ich abziehen wollte, machte er jedoch noch ein paar Schritte nach vorn und wendete mir leicht sein Hinterteil zu. Ich ging mit dem Ziel mit und schon stand er wieder still. Ganz vorsichtig zog ich durch und der Schuss krachte aus dem Lauf. Der Bock ging vorn in die Höhe, drehte sich in der Luft um 180 Grad und fiel wie vom Blitz gefällt nach unten aufs Gras. Ganz kurz schlegelten noch einmal seine Läufe, dann lag er still. Ich hatte diesmal also nicht verrissen und alles richtig gemacht.
In dem Moment wurde ich mir meiner äußerst weichen Knie gegenwärtig. Trotzdem - mich hielt nichts mehr auf der Kanzel. Ich entlud meine Waffe, packte meine Sachen zusammen und baumte ab.

Als ich zum Bock trat, konnte ich es kaum fassen.

Da lag er nun vor mir, mit einem sauberen Hochblattschuss, der Geschossaustritt, da er schräg gestanden hatte, in Richtung Drossel. Ein rascher Tod - beruhigend für mich. Ich brach mir selbst den Bruch und begann mit der roten Arbeit, noch ein klein wenig unsicher, weil mein letztes Aufbrechen doch relativ lang hergewesen war, als es plötzlich in meinem Rücken rief: "Weidmannsheil!"
G. war es, der auf der Waldkanzel angesessen und meinen Schuss gehört hatte, daraufhin "doch lieber mal nach dem Rechten" sehen wollte. Und als er mich Aufbrechen sah, hatte ihn das immens gefreut. Ich berichtete ihm voller Euphorie den gesamten Jagdaublauf. Er half mir, den Bock nach dem Aufbrechen zum Auto zu tragen und ging danach noch einmal selbst auf Jagd.
Ich konnte es kaum erwarten, daheim meinen ersten, allein erlegten Bock vorzeigen zu können und fuhr glücklich nach Hause, mit dem Gefühl im Bauch, nun endlich in der Jagd angekommen zu sein, denn diesmal hatte ich es ganz ohne Hilfe geschafft. Dass es kräftemäßig doch noch ein bisschen zu viel gewesen war, machte sich dann aber ebenfalls bemerkbar.


ENDE

Text und Fotos © Hildruth Sommer